23. Januar 2023

In Paderborn lernen die Autos schwärmen

Leere Busse, keine Schiene, wenige Ladesäulen, kaum eine ernstzunehmende Alternative zum eigenen Verbrenner: Die Mobilität von morgen sucht man im ländlichen Raum Deutschlands meist vergebens. Ein neues Konzept aus Paderborn will das ändern – und orientiert sich dabei an einem Phänomen aus der Tierwelt: dem Schwarm. Das ist nicht der einzige Ansatz aus der ostwestfälischen Stadt, um die Mobilitätswende in Deutschland zu beschleunigen.

Kompakte, autonome Leichtbau-Fahrzeuge holen die Reisenden vor ihrer Haustür ab. Sie schließen sich auf der Hauptstraße zu einem Konvoi zusammen. An der Spitze fährt ein Zugfahrzeug (Pro) als mobile Aufladestation, das die Passagiereinheiten (Cabs) während der Fahrt auflädt. Im benachbarten Ort löst sich der Konvoi auf, die Cabs bringen die Reisenden an ihr jeweiliges Ziel. Individueller ÖPNV on Demand – das ist das Konzept der Initiative Neue Mobilität Paderborn, die im Unterschied zu vielen anderen Projekten einen ganzheitlichen Ansatz verfolgt.

„Der traditionelle ÖPNV ist im ländlichen Raum gescheitert. Die aktuellen Angebote werden nicht angenommen und die meisten Mobilitätskonzepte drehen sich um den Stadtverkehr“, sagt Dr. Volker Grienitz, Geschäftsführer des Neue Mobilität Paderborn e.V. „Ein Mobilitätskonzept für den ländlichen Raum muss im ersten Schritt analysieren, wie sich die Menschen bewegen wollen. Erst im zweiten Schritt geht es darum, die entsprechenden Angebote zu schaffen.“ Dafür arbeiten in der Initiative zahlreiche Akteure zusammen. Neben der Universität Paderborn gehören unter anderem der Energieversorger Westfalen Weser Netz, mehrere Kommunen aus der Region Paderborn sowie Unternehmen aus dem Automobilsektor wie Benteler und Phoenix Contact E-Mobility zu den Mitgliedern. „In Paderborn haben wir alle Bausteine zur Umsetzung des Konzeptes mit seinen zentralen Bausteinen Mobilität, Energie und Digitalisierung. Hinzu kommt die Sozialforschung, die wertvolle Hinweise liefert“, erklärt Grienitz.

Adieu Parkplatzsuche: Bis zu 40 Prozent weniger Autoverkehr in den Innenstädten

Während NeMo noch in der Entwicklung steckt, ist man an anderer Stelle in Paderborn schon deutlich weiter. Wer mit dem Auto in die Paderborner Innenstadt fährt, braucht nicht lange nach einem Parkplatz suchen. Über Sensoren an Straßenlaternen oder unter Pflastersteinen wird die Belegung von Parkplätzen und Fahrbahnrändern gemessen. Die Daten lassen sich in Echtzeit online einsehen. Eine kürzere Parkplatzsuche reduziert den innerstädtischen Verkehr immens, verbessert damit die Luft und den CO2-Ausstoß. In Deutschland macht die Suche nach einem freien Parkplatz aktuell rund 30 bis 40 Prozent des innenstädtischen Gesamtverkehrs aus.

Modellprädiktive Ampelregelung reduziert Emissionen

Für einen besseren Verkehrsfluss startete die Stadt und Universität mit lokalen Projektpartnern ein Pilotprojekt mit einer intelligenten Ampelschaltung. Dabei wird der Verkehr zusätzlich mit Radarsystemen und Tastern analysiert, die Daten in Echtzeit verarbeitet und die Ampelschaltung angepasst. Die ersten Ergebnisse nach einer vierwöchigen Testphase beschreibt Kevin Malena von der Universität Paderborn als vielversprechend: „Wir haben die Emissionen merklich reduziert, in dem wir die Wartezeiten der schweren Fahrzeuge wie Busse oder Lastwagen verkürzt haben.“ Ausbaufähig sei hingegen die Übertragung der Daten. Latenzen von bis zu sieben Sekunden verhinderten, dass das volle Potenzial – eine Verbesserung der Emissionsbelastung situativ um bis zu einem Drittel – voll ausgeschöpft werden konnte. Weitere Forschungsprojekte der Universität untersuchen einen vollautomatisierten Verkehr und den Übergangszeitraum, in dem sich autonome und konventionelle Fahrzeuge die Fahrbahn teilen werden.

Hilfe für Kommunen beim Ausbau der Ladeinfrastruktur mittels KI

Aus der Paderborner Universität entwachsen ist das Start-up „ladeplan“. Das junge Unternehmen unterstützt Kommunen im Ausbau ihrer Infrastruktur für Elektromobilität, vor allem bei der Auswahl passender Standorte für Ladestationen. Tatsächlich haben erst etwa die Hälfte aller Kommunen in Deutschland Ladesäulen. Die geeignetsten Standorte für Ladestationen ermittelt ladeplan mit einer KI. Lorenz Pott, einer der drei Gründer erklärt: „Unsere KI verarbeitet Daten zum lokalen und regionalen Verkehr, berücksichtigt die umliegende Infrastruktur und bezieht Auslastungsdaten von Ladesäulen an vergleichbaren Standorten. Damit können wir vorhersagen, an welchen Orten Ladesäulen Sinn ergeben – und wo nicht.“

Geht es nach Frank Wolters, Geschäftsführer der Paderborner Wirtschaftsförderung, soll die Region zur Modellkommune für eine flächendeckende Elektromobilität und autonomes Fahren werden: „Durch den Windpark produziert Paderborn einen Überschuss an regenerativer Energie. Aktuell starten mehrere Projekte zur Produktion von Wasserstoff. Zeitnah haben wir eine Infrastruktur, auf der wir eine vollständig nachhaltige und autonome Mobilität erproben können.“ Wichtig sei dabei, den urbanen und ländlichen Raum und die einzelnen Teilaspekte der Mobilitätswende miteinander zu verbinden.

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